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Mein dufter Co-Therapeut

Mein dufter Co-Therapeut

Lassen Sie mich diesen Beitrag mit einem kleinen Experiment beginnen. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und stellen Sie sich vor, Sie essen frisch gebackene Vanillekipferln oder sahniges Vanilleeis.

 

Was haben Sie wahrgenommen? Eine schöne Erinnerung, ein kleines Glücksgefühl? Vanille ist der beliebteste Geruch weltweit, haben Forscher herausgefunden. Weil Muttermilch Vanille-Duftstoffe enthält. Riechen wir Vanille, verbinden wir damit unbewusst Vertrauen und Geborgenheit. Unser Körper reagiert prompt mit der Ausschüttung von Glückshormonen wie Oxytocin und Dopamin.

 

Sämtliche Dufterlebnisse unseres Lebens sind in unserem emotionalen Gedächtnis abgespeichert. Weil unser Riechsystem direkt mit unseren Emotionszentren im Gehirn verbunden ist, lösen Düfte unmittelbare Gefühle aus. Unser Geruchssinn lässt sich nicht täuschen. Ein evolutionäres Erbe, das früher das Überleben gesichert hat und das wir heute therapeutisch nutzen können.

 

Die therapeutische Wirkung der Aromatherapie lässt sich mit zwei Effekten erklären. Der hedonisch-psychologische Effekt entscheidet, welchen Duft wir angenehm finden. 

Der kleine Vanilletest hat das verdeutlicht – wir sind olfaktorisch positiv auf Vanillin konditioniert. Der pharmakologische Effekt erklärt sich aus der neuronalen Reaktion auf eine Duftexposition. Die Duftmoleküle eines ätherischen Öls ähneln in ihrer Struktur einem Neurotransmitter. Sie überwinden die Blut-Hirn-Schranke und jedes Duftmolekül funktioniert wie ein Schlüssel, der ein spezifisches Schloss einer Nervenzelle öffnet. Das Neuron aktiviert ein Aktionspotenzial und erzeugt eine biochemische Reaktion. 

 

Der Duft von Bergamotte, Lavendel oder Neroli unterstützt den parasympathischen Teil unseres vegetativen Nervensystems. Je aktiver der Parasympathikus - und dort vor allem der Vagusnerv – desto schneller sinkt das Erregungsniveau und wir entspannen. Angelikawurzel, Copaiba und Patchouli unterstützen das Gleichgewicht im Haushalt der Gamma-Aminobuttersäure, kurz GABA. Sie ist der wichtigste hemmende Botenstoff im zentralen Nervensystem und wird aus Glutaminsäure synthetisiert. GABA bremst die Nervenerregung und senkt den Blutdruck. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Unruhe, Nervosität, Angstzuständen, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, chronischer Erschöpfung und einem Ungleichgewicht der GABA-Konzentration. Die stimmungsaufhellenden Eigenschaften von Majoran und Petitgrain sind mit einem Anstieg von Serotonin assoziiert. Grapefruit und Muskatellersalbei wirken auf das Endocannabinoid-System bei der Bildung von körpereigenen Opiaten. Kamille und Vetiver boostern das Belohnungssystem durch den Anstieg von Dopamin. 

 

Unser Organismus verfügt über 20 bis 30 Millionen Riechzellen. Die entsprechenden Rezeptoren sind jeweils auf bestimmte Duftmoleküle spezialisiert. Solche Empfangsstellen gibt es nicht nur im Gehirn, sondern in allen Organsystemen. 

 

Wie aber können wir die hedonischen und pharmakologischen Effekte von ätherischen Ölen in der Psychotherapie als Begleittherapie nutzen? Ziel von Psychotherapie ist die Reaktivierung vorhandener Ressourcen. Seelische Probleme entstehen, wenn zwischen dem subjektiv Erlebten und dem Gewünschten eine Diskrepanz besteht. Wir verlieren das Gefühl von Kohärenz, wenn wir nicht verstehen, was in unserem Leben gerade passiert, die Sinnbedeutung verlieren und uns machtlos fühlen. Etablieren sich neue „Muster des Gelingens“ (G. Schmidt), nehmen wird das Ruder unseres Lebensschiffs wieder selbst in die Hand.

 

Dazu müssen wir neue Erlebnisbilder kreieren und Ressourcen reaktivieren. Der Zielweg ist, wohin jemand will und nicht primär woher jemand kommt. Dieser Prozess lässt sich mit Aromatherapie als Begleittherapie sinnvoll unterstützen und mit Geruchsankern koppeln. 

 

Im Therapieprozess arbeiten wir vom Kleinen ins Große. Wir schauen zunächst gemeinsam mit unseren Klienten auf kleine Veränderungsschritte und günstige Copingstrategien. Der Klient nimmt bereits vorhandene Ressourcen wahr und überprüft deren Nützlichkeit in der aktuellen Situation. Ist der Kontakt zwischen Copingstrategie und Ressource etabliert, kann ein Geruchsanker eingesetzt werden. Die Auswahl der Öle ergibt sich aus der Auftragsklärung – was soll erreicht werden - und den Geruchsvorlieben (hedonischer Effekt) des Klienten. 

 

Die psychotherapeutische Aromapraxis ist salutogenetisch ausgerichtet. Deshalb schlägt fehl, eine seelische Krise mit einem ätherischen Öl wegriechen zu wollen. 

Auch sollten Klienten nicht genötigt werden, einen Geruch anzuwenden, den sie ablehnen. Aussagen darüber, dass olfaktorische Abneigungen eine Auskunft darüber geben, was der Klient „eigentlich“ braucht, sind Unsinn. Die Anwendung erfolgt nach einem individuellen Aromaprotokoll.  

 

Klienten bekommen mit der Aromatherapie ein zusätzliches Tool an die Hand, unwillkürliche Reizinterpretationen aus dem autonomen Nervensystem zu verändern und schrittweise durch eine funktionale Reizantwort zu ersetzen. Uns Therapeuten steht während der Therapie ein dufter Co-Therapeut zur Ressourcenaktivierung zur Seite.

 

 

Text: Jacqueline Boyce

Heilpraktikerin für Psychotherapie

Leitung Deutsche Heilpraktikerschule® Potsdam

Leitung Aromaschule®, zertifizierte Weiterbildungen in psychotherapeutischer Aromapraxis

Nächster Kursstart: 12.03.2024